Was mich bewegt

Was mich bewegt

„We are all meant to shine, as children do.“
(Nelson Mandela)

Warum ich Dokumentarfilme mache? Ganz einfach, weil mich das wirkliche Leben und wirkliche Menschen viel mehr interessieren als  fiktive Geschichten. Die kleinen oft mehr als die großen… Ganz gleich, ob es um eine Landschaft, um Religion, um Kunst oder Klimawandel geht: es sind immer die Menschen, durch deren Augen ich versuche, Dinge zu zeigen, wie sie sind. Die Herausforderung stellt sich bei jedem Film aufs Neue: Die Wirklichkeit so zu erzählen, dass sie einerseits den Menschen vor der Kamera gerecht wird und andererseits die Zuschauer im Innersten berührt. Immer wieder staune ich darüber, wie viel Mut und Vertrauen Menschen aufbringen, um sich für die Kamera zu öffnen – und wie viel positive Energie sie auch dann noch ausstrahlen können, wenn ihre Geschichten von Schicksalsschlägen, von Gewalt oder Missbrauch gezeichnet sind. Als Kind habe ich den Bau der Berliner Mauer am Brandenburger Tor miterlebt, ganz früh begriffen, dass Menschen bereit sein können, sogar ihr Leben zu riskieren, damit sie in Freiheit ihren eigenen Weg gehen können. Das hat mich geprägt bis heute, in meinem Misstrauen gegen jede Form von Ideologie, in meiner Ablehnung von Diktatur und doktrinärem Denken. Und gerade deshalb faszinieren mich besonders Außenseiter und Autodidakten, die ihre Lebenswege gegen unterschiedliche, manchmal schier unüberwindbare Hindernisse verfolgt haben.

„Was zählt ist der Traum, der Rest ist machbar“

Dieses Motto fand ich in einer Bronzeplatte eingegossen, im Atelier eines jungen bayerischen Bildhauers, den ich Monate lang mit der Kamera begleitete: Christian Mayer hatte die faszinierende und zugleich vollkommen verrückte Vision, viele Tonnen schwere Granitkugeln auf einem hauchdünnen Wasserfilm schwimmen zu lassen – und er hat seinen Traum verwirklicht, bezaubernd schöne Brunnen geschaffen, in denen sich seine riesigen, schwimmenden Skulpturen spielerisch auf dem Wasser bewegen.

Dann war da der Thurner Hans, ein bayerischer Milchbauer, der sich von den Nachbarn im Dorf „Kommunisten-Hans“ schimpfen lassen musste, weil er sich schon in den frühen 80er Jahren mit einem Freund zusammentat, um Arbeit, Gewinn und Risiko ihrer Höfe zu teilen. Unbeirrt ging der Hans seinen Weg, fand fast nebenbei zu seiner eigentlichen Leidenschaft, der Objekt-Kunst. Mit der Zeit entwickelte er sich zu einem bekannten Bildhauer und am Ende wählte man ihn sogar zum Bürgermeister seiner Gemeinde.

Oder Peter aus Hamburg, als Kind ein hochbegabter Pianist: Seine Mutter wollte ihn zum Star machen, „ein kleiner Mozart“ sollte er werden. Peter lief von zu hause weg, wanderte nach Amerika aus und wurde erfolgreicher Klavierstimmer- und Händler. Aber sein Traum war es, eigene Musik zu komponieren. Als ich ihm spät in seinem Leben begegnete, da hatte er alle Brücken hinter sich abgebrochen, lebte in der Wüste Nevadas einem Lastwagen, den er zur Wohnung und zum rollenden Studio umgebaut hatte… und spielte auf einem alten Klavier seine eigene Musik.

Nicht zuletzt: Jane Goodall aus Bournemouth, einem kleinen Seebad an der Südküste Englands. Schon als junges Mädchen träumt sie davon, eines Tages nach Afrika zu gehen und dort mit den wilden Tieren zu arbeiten. Alle lachen sie aus, denn damals, in den dreißiger Jahren, machte man so etwas als anständige junge Britin nicht! Nur Jane’s Mutter unterstützt sie, ermutigt sie, ihren Weg zu gehen, egal was kommt. Als Kellnerin verdient Jane sich das Geld für die Schiffspassage nach Kenia und landet nach einigen Umwegen mit gerade mal 26 Jahren im Urwald am Tanganyika-See – mit dem Auftrag, dort das Verhalten der Schimpansen in der freien Wildbahn zu beobachten. Mutterseelen allein. Eine Autodidaktin ohne wissenschaftliche Vorbildung. Bleibt zwanzig Jahre dort. Wird durch ihre Entdeckungen weltberühmt. Gegen den Widerstand der etablierten Wissenschaft. Und gibt mit Anfang fünfzig ihre Karriere auf, um fortan ihre gesamte Kraft für die Erhaltung der Umwelt einzusetzen, gründet eine global operierende Jugendorganisation für den Umweltschutz und wird schließlich zur UN-Friedensbotschafterin ernannt.

Ich empfinde es als großes Geschenk, nicht nur über solche Menschen Filme machen zu dürfen, sondern auch über die Landschaften, in denen diese Menschen leben… Im Lauf der Jahre immer besser zu begreifen, wie sehr sie von ihren Landschaften geprägt sind, wie eng verbunden die Begriffe „Natur“, „Heimat“ und „Landschaft“, eigentlich sind, wie wichtig es auf Dauer ist, die eigenen Wurzeln zu spüren. Dass diese Erfahrung auch für mich selber gilt, wurde mir erst um die fünfzig herum bewusst, bei der Arbeit an einem „menschlich-topographischen Porträt“ über den wilden und zauberhaft schönen Fluss, der durch meine Geburtsstadt München fließt:  Hatte ich doch immer geglaubt, „frei“ zu sein, immer dort „zu hause“, wo ich gerade lebte und arbeitete – die Isar hat mich eines Besseren belehrt: Hier gehöre ich einfach her. An ihre Ufer.  Ebenfalls ein Geschenk: Eingebettet zu sein in ein Netzwerk von wunderbaren Kameraleuten, Tonmeistern, Cutterinnen, RedakteurInnen und ProduzentInnen, die für diese Gedanken offen waren und damit meine Art von Dokumentarfilmen überhaupt erst möglich gemacht haben.

11 Dokumentarfilme, die mich bewegt, beeinflusst,
beglückt und begeistert haben:

“Regen” von Joris Ivens
“Man of Aran” von Robert Flaherty
“From Mao to Mozart” von Murray Lerner
“Koyaanisqatsi” von Godfrey Reggio
“The War Room” von D A Pennebaker
“Darwins Nightmare” von Hubert Sauper
“War Photographer” von Christian Frei
“The Devils Miner” von Richard Ladkani
“Lost Children” von Oliver Stoltz und Ali Samadi Ahadi
“The Fog of War” von Errol Morris
“Rhythm is it!” von Enrique Sánchez Lansch und Thomas Grube

…und 11 Spielfilme, die die mich bewegt,
beeinflusst, beglückt und begeistert haben:

“The Great Dictator” von Charles Chaplin
“Johnny Got His Gun” von Dalton Trumbo
“Roma città aperta” von Roberto Rosselini
“Andrej Rubljow” von Andrei Tarkowskij
“Rashomon” von Akira Kurosawa
“Birdy” von Alan Parker
“One Flew Over the Cuckoos Nest” von Milos Forman
“Schindler‘s List” von Steven Spielberg
“21 Grams” von Alejandro Gonzalez Inàrritu
“Das Leben der Anderen“ von Florian Henckel von Donnersmarck
“The Diving Bell and The Butterfly” von Julian Schnabel

Meister und Werke, die mich bewegt,
beeinflusst, beglückt und begeistert haben:

Rembrandt van Rijn, Selbstporträts
William Turner, Venezianische Aquarelle
Wassily Kandinsky, die Murnauer Periode
Oskar Kokoschka, Städtebilder
Christian Mayer, Schwimmende Steinkugeln
Richard Serra, Stahlskulpturen im Guggenheim Bilbao

Tempelanlage von Abu Simbel
Kathedrale von Chartres
Guggenheim Museum Bilbao von Frank Gehry
Neue Nationalgalerie Berlin von Mies van der Rohe
Münchner Olympiastadion von Günter Behnisch und Frei Otto

Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 7, zweiter Satz
„Amarchaj“ von Stephan Micus
„Die Zauberflöte“ von W.A.Mozart
„Das Wohltemperierte Klavier“ von J.S.Bach, gespielt von Friedrich Gulda
“Officium” von Jan Garbarek und dem Hilliard Ensemble                          „Mirror of my Life“ von Estas Tonne

A.A.Milne “Winnie the Pooh”
John Steinbeck “The Grapes of Wrath”
Christian Morgenstern „Galgenlieder“
Emile Zola „L’Assomoir“
Rainer Maria Rilke: Gedichte in der amerikanischen
Übersetzung von Stephen Mitchell

Alice Miller
„Abbruch der Schweigemauer“
„Das Drama des begabten Kindes“

Jane Goodall
“Reason for Hope“

Arbeiterporträts des Fotografen August Sander
„Evidence“, Porträts des Fotografen Richard Avedon

Sven Nykvist, langjähriger Kameramann von Ingmar Bergman
Vittorio Storaro, Kameramann von Francis Ford Coppola in „Apocalypse Now“
Gerhard Lechner, Kameramann, einer meiner Lehrmeister und filmischen Wegbegleiter